Prof. Dr. Dennis Solomon, LL.M. (Berkeley)

Universität Passau, Deutschland

VORTRAG[1]

 

ZWINGENDE BESTIMMUNGEN IM INTERNATIONALEN VERTRAGSRECHT

I. Einführung

Das internationale Privatrecht befindet sich in Europa zur Zeit in einem Stadium breiter und grundlegender Veränderung. Mitunter ist sogar die Rede von einer echten „Revolution“ auf dem Gebiet des europäischen IPR.

Jedenfalls wird das bisherige nationale IPR der einzelnen Mitgliedstaaten gerade in atemberaubender Geschwindigkeit durch neue, einheitliche Regelungen auf der Ebene der Europäischen Union ersetzt. Fast schon wie alte Bekannte erscheinen da die beiden Verordnungen zum internationalen Schuldrecht, die man im Allgemeinen kurz mit „Rom I“ und mit „Rom II“ bezeichnet, nämlich:

·         die Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 17. Juni 2008 („Rom I“)

·         und die – knapp ein Jahr vorher in Kraft getretene – Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 11. Juli 2007 („Rom II“).

Doch bilden diese beiden Verordnungen schon jetzt lediglich einen Ausschnitt aus dem vereinheitlichten europäischen Kollisionsrecht: Hinzu kommen:

·         die Unterhaltsverordnung vom 18. Dezember 2008, die ab Juni 2011 in Europa Anwendung finden wird

·         die Scheidungsverordnung vom 20. Oktober 2010, die ab Juni 2012 zur Anwendung kommen wird, wenn auch leider nicht in sämtlichen Mitgliedstaaten.

·         Ferner existieren Verordnungsvorschläge für das Erbrecht vom 14. Oktober 2009, sowie – ganz aktuell – für das Ehegüterrecht vom 16. März 2011. Deren weiteres Schicksal ist aber noch ungewiss.

Damit erhält das Internationale Privatrecht innerhalb der Europäischen Union einen völlig neuen normativen und institutionellen Rahmen. Vieles, was man bislang allein auf nationaler Ebene diskutiert hatte – und manchmal auch als geklärt erachtete, ist damit erneut wieder in die Diskussion geraten. Künftig entscheiden letztlich auch nicht mehr autonom die nationalen Gerichte, sondern der EuGH über die Auslegung des neuen europäischen IPR. Und in der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, dass der EuGH durchaus einen eigenen Blickwinkel auf die kollisionsrechtlichen Probleme in Europa hat. Jedoch befinden wir uns in dieser Hinsicht noch ganz am Anfang: Die einschlägigen Verordnungen sind noch neu. Es gab bislang so gut wie keine Fälle, in denen sich der EuGH zur Auslegung des neuen europäischen IPR aussprechen musste. Doch das wird sich ohne Zweifel bald ändern.

Im Folgenden möchte ich mich mit einem Kernproblem des internationalen Privatrechts und vor allem des internationalen Schuldvertragsrechts beschäftigen, nämlich mit der Reichweite und den Grenzen der Parteiautonomie im internationalen Vertragsrecht. Was die Rechtsquellen anbelangt, bewegen wir uns hier in weitgehend etablierten Bahnen. Zwar gilt die „Rom I“-Verordnung erst seit etwas mehr als einem Jahr. Jedoch tritt sie nur an die Stelle des Europäischen Schuldvertragsüber­einkommens, in dessen Form wir in Europa schon seit rund zwanzig Jahren einheitliche Kollisionsnormen für Schuldverträge hatten. Tatsächlich setzt die Verordnung weitgehend die Tradition des Übereinkommens fort, so dass wir im internationalen Vertragsrecht keinen wirklichen Neustart haben. Doch gibt es auch auf diesem Gebiet doch einige Änderungen durch die Verordnung, über die wir uns in den nächsten Jahren sicherlich noch die Köpfe werden zerbrechen müssen.

II. Rechtswahl und zwingende Bestimmungen

Das alles überragende Grundprinzip des internationalen Vertragsrechts liegt in der Anerkennung der Parteiautonomie: Die Vertragsparteien können wählen, welchem Recht ihr Vertrag unterstehen soll. Dieser Grundsatz dürfte in so gut wie allen Staaten anerkannt sein. Tatsächlich gibt es im IPR wohl kaum einen Grundsatz, der international so breite Anerkennung gefunden hat wie die Zulässigkeit der kollisionsrechtlichen Rechtswahl für Schuldverträge.

So bestimmt denn auch Art. 3 Abs. 1 der Rom I-VO in seinem ersten Satz schlicht:

„Der Vertrag unterliegt dem von den Parteien gewählten Recht.“

Auch wenn dieser Grundsatz allgemein anerkannt scheint, darf man sich Gedanken über seine sachliche Rechtfertigung machen. In dieser Hinsicht verweist man darauf, das die kollisionsrechtliche Parteiautonomie, also die Anerkennung einer Rechtswahl, letztlich nur das Gegenstück bildet zur Anerkennung der Privatautonomie auf der Ebene des anwendbaren Sachrechts: Die Zivilrechtsordnungen der verschiedenen Staaten erlauben es den Parteien eines Schuldvertrags regelmäßig in eher großem Umfang, ihr Vertragsverhältnis inhaltlich frei auszugestalten – es gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit. In gleicher Weise soll es daher den Parteien auch in kollisionsrechtlicher Hinsicht erlaubt sein, das für ihr Verhältnis anwendbare Recht frei zu wählen.

Diese Schlussfolgerung ist aber gar nicht so unproblematisch, wie sie auf den ersten Blick scheint. Denn auch wenn wir im Vertragsrecht im Allgemeinen der Privatautonomie breiten Raum gewähren, ist es doch für den Juristen geradezu eine Selbstverständlichkeit, dass dieser Privatautonomie regelmäßig auch Grenzen gesetzt sind: Die Parteien sind eben nicht völlig frei, ihr Vertragsverhältnis autonom zu regeln. Mitunter greift der Gesetzgeber ein und setzt ihnen Grenzen in Form von zwingenden Rechtsvorschriften.

Dazu kann es aus den verschiedensten Gründen kommen – ein wichtiges Beispiel ist der Schutz von Personen, die typischerweise als „schwächere Partei“ und damit als besonders schutzwürdig angesehen werden. Paradefälle sind der Verbraucher und der Arbeitnehmer. So gewährt etwa die europäische Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf dem Verbraucher Gewährleistungsrechte, die von den Parteien nicht abbedungen werden können. Ähnliche Erscheinungen haben wir im Arbeitsrecht, zum Beispiel bei Kündigungsschutz- oder Urlaubsregelungen. Aber auch bei Verträgen zwischen Unternehmern greift der Gesetzgeber mitunter durch zwingende Vorschriften ein. Ein Beispiel, das wir heute immer wieder heranziehen wollen, stammt aus dem Recht des Handelsvertreters: Hier gewähren die Rechtsordnungen der EU-Staaten dem Handelsvertreter einen Mindest-Ausgleichsanspruch. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der Handelsvertreter durch seine Tätigkeit einem anderen Unternehmen Geschäfte vermittelt hat, aus denen das Unternehmen auch zukünftig wirtschaftliche Vorteile ziehen kann. Daher soll bei Beendigung des Handelsvertretervertrags nicht der Handelsvertreter alle Vergütungsansprüche verlieren, während das Unternehmen weiterhin von den vermittelten Geschäften profitiert. Folglich wird dem Handelsvertreter vom Gesetz ein Mindest-Ausgleichsanspruch gewährt, den die Parteien nicht abbedingen können.

Existieren solche zwingenden Bestimmungen, so ist es mit deren zwingendem Charakter eigentlich nur schwer zu vereinbaren, dass die Parteien das Recht haben sollen, auf der Ebene des IPR das anwendbare Vertragsrecht – das sogenannte „Vertragsstatut“ – zu wählen. Denn mit der Wahl des Vertragsstatuts entscheiden die Parteien ja zugleich darüber, aus welcher Rechtsordnung die jeweils maßgeblichen zwingenden Bestimmungen zu entnehmen sind. Können die Parteien zum Beispiel das auf den Handelsvertretervertrag anwendbare Recht wählen, so können sie hierdurch auch entscheiden, nach welcher Rechtsordnung zu beurteilen ist, ob dem Handelsvertreter bei Vertragsbeendigung überhaupt ein Ausgleichsanspruch zustehen soll und ob – und inwieweit – dieser Anspruch zwingend oder dispositiv ist. Letztlich könnten sie also ein Recht wählen, das gar keinen Ausgleichsanspruch vorsieht oder diesen zumindest in vollem Umfang zur Disposition der Parteien stellt.

Hieraus ergibt sich ein nur schwer aufzulösender Widerspruch: Denn zwingendes Recht zeichnet sich ja gerade daraus aus, dass es nicht zur Disposition der Parteien steht, dass es den Parteien gerade nicht frei stehen soll, Abweichendes zu vereinbaren. Im internationalen Verhältnis wird nun diese Beschränkung der Privatautonomie auf eigenartige Weise relativiert – indem man es den Parteien erlaubt, einfach ein anderes Recht zu wählen. In diesem Fall kommen dann natürlich die zwingenden Bestimmungen dieser anderen Rechtsordnung zur Anwendung. Den Parteien ist es also zumindest nicht möglich, jeglichen zwingenden Bestimmungen eines staatlichen Rechts zu entkommen. Immerhin haben sie aber die Wahl, welchem Recht nebst zwingenden Bestimmungen sie unterstehen wollen. Nun kann man sich unschwer vorstellen, dass die Parteien dabei eine gewisse Neigung haben können, ein möglichst liberales Recht zur Anwendung zu bringen. Aus der Sicht der Parteien, die ihre vertragliche Ausgestaltungsfreiheit möglichst breit in Anspruch nehmen wollen, ist dies durchaus legitim. Zugleich werden aber die rechtspolitischen Regelungszwecke des Staates unterwandert, dessen zwingendes Recht auf diese Weise zur Disposition der Parteien gestellt wird.

Damit wird deutlich, dass auch die Rechtswahlfreiheit nicht grenzenlos gelten kann. Wie im Sachrecht sind auch im Kollisionsrecht Schranken erforderlich. Mit diesen wollen wir uns nun befassen.

III. Verknüpfung mit dem gewählten Recht

1. Grundsatz

Die erste Frage, die sich stellt, ist die: Besteht eine Begrenzung hinsichtlich des Kreises der wählbaren Rechtsordnungen oder sollen die Parteien befugt sein, jede beliebige Rechtsordnung der Welt zu wählen? Nehmen wir folgenden Fall an:

Ein deutsches Unternehmen will seine Geschäftstätigkeit auf Serbien ausdehnen. Zu diesem Zweck beauftragt es einen Handelsvertreter mit Sitz in Serbien mit der Anwerbung von Kunden.

Wir haben bereits gesehen, dass insbesondere das deutsche Recht dem Handelsvertreter einen zwingenden Ausgleichsanspruch bei Vertragsbeendigung gewährt. Serbien wird diese Frage vermutlich etwas anders beurteilen. Andere Staaten, wie etwa die Schweiz oder die Vereinigten Staaten, mögen gar keinen zwingenden Ausgleichsanspruch vorsehen.

Wie steht es nun mit der Rechtswahl der Parteien?

Sicher wird es möglich sein, dass die Parteien für diesen Vertrag deutsches oder serbisches Recht wählen. Aber können sie auch irgendeine andere Rechtsordnung wählen, wie etwa das schweizerische oder das US-amerikanische Recht? Erlaubt man das, so müssten die Parteien – und vor allem: der Unternehmer – nur lange genug suchen, bis eine Rechtsordnung ausfindig gemacht ist, die es mit dem Schutz des Handelsvertreter etwas weniger streng nimmt.

Aus diesem Grund verlangt man zum Beispiel im US-amerikanischen IPR regelmäßig eine vernünftige Beziehung zu dem von den Parteien gewählten Recht. So heißt es etwa in § 1–301 des „Uniform Commercial Code“:

§ 1–301 Uniform Commercial Code:

(a) Except as otherwise provided in this section, when a transaction bears a reasonable relation to this state and also to another state or nation the parties may agree that the law either of this state or of such other state or nation shall govern their rights and duties.

Demnach dürfen die Parteien nur eine solche Rechtsordnung wählen, zu der eine „reasonable relation“, also eine „vernünftige Verbindung“ besteht. Nicht möglich ist es, dass sie eine Rechtsordnung wählen, die mit dem Sachverhalt keinerlei Beziehung hat. Soweit sich nicht sonstige, „vernünftige“ Verbindungen ergeben, könnten die Parteien in unserem Beispielsfall also nur deutsches oder serbisches Recht wählen. Die Wahl einer sonstigen Rechtsordnung, etwa des schweizerischen Rechts, wäre ihnen verwehrt.

Auf diese Weise wird sicherlich effizient verhindert, dass die Parteien durch die willkürliche Wahl einer beliebigen Rechtsordnung in missbräuchlicher Weise die zwingenden Bestimmungen der beteiligten Rechtsordnungen umgehen können. Jedoch gibt es auch Probleme: In unserem einfachen Beispiel wären die Parteien gezwungen, sich für das Recht einer der Parteien zu entscheiden – zur Wahl steht nur deutsches oder serbisches Recht. Im Ergebnis ergäbe sich damit zwangsläufig für eine Partei ein „Heimvorteil“: denn eine von beiden kann sich fortan innerhalb der ihr vertrauten und ihr leichter zugänglichen Rechtsordnung bewegen. In heiklen Fällen mag dieses Problem sogar verhindern, dass sich die Parteien überhaupt über die Wahl eines Rechts einigen können.

Daher hat man in vielen Staaten – und auch im europäischen IPR – anerkannt, dass es ein schutzwürdiges Interesse der Parteien an der Wahl einer „neutralen“ Rechtsordnung gibt, die mit den Parteien und dem Vertragsgegenstand gerade nicht in Beziehung steht. Diesem Interesse trägt der uns bereits bekannt Art. 3 der Rom I-VO Rechnung, indem er eingangs schlicht bestimmt: „Der Vertrag unterliegt dem von den Parteien gewählten Recht.“ Hiernach besteht keinerlei Erfordernis einer irgendwie gearteten Verknüpfung der Parteien oder des Vertrags zu dem von den Parteien gewählten Recht. Vielmehr haben die Parteien die Auswahl unter allen Rechtsordnung der Welt.

An dieser Stelle möchte ich nur kurz darauf hinweisen, dass die Verordnung für bestimmte Verträge einem anderen Regelungskonzept folgt, nämlich bei Beförderungsverträgen (Art. 5 Rom I) und bei Versicherungsverträgen (Art. 7 Rom I). In diesen Fällen können die Parteien ausnahmsweise nicht jedes beliebige Recht wählen, sondern nur solche Rechtsordnungen, zu denen eine hinreichende Verbindung besteht. Auf diese durchaus interessanten Sonderregeln können wir hier leider nicht näher eingehen.

Im Übrigen bleibt es jedoch bei dem allgemeinen Grundsatz, und zwar eben auch in unserem Beispiel des Handelsvertretervertrags: Die Parteien können hier also jede beliebige Rechtsordnung als „neutrale“ Rechtsordnung wählen, eine bestimmten räumlichen Beziehung zu diesem Recht ist nicht vorausgesetzt. Unsere beiden Vertragsparteien können also etwa auch Schweizer Recht als Vertragsstatut wählen. Dann gilt grundsätzlich auch nur Schweizer Recht, und zwar auch hinsichtlich der sachrechtlichen Grenzen der Privatautonomie – etwa der Frage, ob dem Handelsvertreter bei Vertragsbeendigung ein zwingender Ausgleichsanspruch zusteht oder nicht.

2. Ausnahme: Binnensachverhalte, Art. 3 Abs. 3 Rom I

Der äußerst liberale Ausgangspunkt des europäischen IPR macht es notwendig, auf andere Weise Schutz vor unangemessener Umgehung zwingenden Rechts zu gewährleisten.

Betrachten wir dazu eine kleine Variante unseres Ausgangs­beispiels:

Ein süddeutsches Unternehmen beauftragt für seine Geschäfte in Norddeutschland einen in Hamburg ansässigen Handelsvertreter.

Können die Parteien auch in einem solchen Fall Schweizer Recht wählen mit der Folge, dass die zwingenden Bestimmungen des deutschen Handelsvertreterrechts entfielen?

Das US-amerikanische IPR täte sich hier leicht: Zum Schweizer Recht besteht keine „vernünftige“ Verbindung; daher ist dessen Wahl als kollisionsrechtliche Rechtswahl unwirksam. Wie wir gesehen haben, ist ein solches Vorgehen im europäischen IPR jedoch zunächst nicht möglich: denn bei uns setzt die Rechtswahl ja keine „vernünftige“ Verbindung zum gewählten Recht voraus.

Andererseits besteht in unserem jetzigen Beispiel natürlich nicht das oben beschriebene Bedürfnis der Vertragsparteien, eine „neutrale“ Rechtsordnung zu wählen: Schließlich geht es um einen Vertrag zwischen zwei deutschen Parteien, der auch in Deutschland zu erfüllen ist. Wozu sollte es hier einer „neutralen“ Rechtsordnung bedürfen? Wenn die Parteien hier ein ausländisches Recht wählen, so kann es vielmehr nur um eines gehen: Die zwingenden Bestimmungen, die der deutsche Gesetzgeber zum Schutz des Handelsvertreters niedergelegt hat, sollen unterlaufen werden. Es liegt auf der Hand, dass der Gesetzgeber ein solches Vorgehen nicht zulassen kann – andernfalls könnte jeglicher Versuch, überhaupt noch zwingendes Recht niederzulegen, durch die simple Wahl einer anderen Rechtsordnung von den Parteien zunichte gemacht werden.

Diesem Problem begegnet Art. 3 Abs. 3 der Rom I-VO. Er lautet:

„Sind alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl in einem anderen als demjenigen Staat belegen, dessen Recht gewählt wurde, so berührt die Rechtswahl der Parteien nicht die Anwendung derjenigen Bestimmungen des Rechts dieses anderen Staates, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann.“

Somit können die Parteien in unserer Abwandlung mit der Wahl Schweizer Rechts also nicht die zwingenden Bestimmungen des deutschen Handelsvertreterrechts aushebeln. Denn es besteht kein schutzwürdiges Interesse der Parteien, in einem rein innerstaatlichen Fall – einem sogenannten „Binnensachverhalt“ – die zwingenden Bestimmungen des allein betroffenen Rechts durch eine Rechtswahl auszuschalten. Art. 3 Abs. 3 Rom I erweist sich so als notwendige Absicherung des zwingenden Rechts dieses Staates.

3. Ausnahme: Binnenmarktsachverhalte, Art. 3 Abs. 4 Rom I

Die soeben angestellten Erwägungen haben angesichts der Rechtsvereinheitlichung in Europa eine interessante zusätzliche Dimension gewonnen. Nehmen wir an, es geht um einen Vertrag zwischen einem deutschen Unternehmen und einem französischen Handelsvertreter, der seine Tätigkeit in Frankreich ausüben soll. Sicherlich ein Fall, der relevante Beziehungen zu verschiedenen Staaten hat. Art. 3 Abs. 3 Rom I setzt hier also keine Grenzen.

Nun bestehen jedoch auch in Frankreich Regeln zum Schutz des Handelsvertreters, insbesondere zur zwingenden Gewährung eines Ausgleichsanspruch bei Beendigung des Vertrags. Der Handelsvertreter wäre also sowohl in Deutschland als auch in Frankreich durch zwingendes Recht geschützt. Beachten Sie bitte: Selbst das hindert zunächst eine Wahl schweizerischen Rechts gemäß Art. 3 Rom I nicht – und zwar selbst dann nicht, wenn ein entsprechender Schutz im Schweizer Recht gerade fehlt! Die Freiheit der Rechtswahl knüpft allein an das Bestehen einer relevanten Auslandsbeziehung an. Ist diese Voraussetzung erfüllt, so ist die Rechtswahl wirksam. Ein „Rückvergleich“ mit den berührten Rechtsordnungen findet nicht statt.

Im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich besteht jedoch eine Besonderheit: Beide Staaten haben ja nicht zufällig inhaltlich ähnliche Bestimmungen über den Handelsvertreter. Vielmehr gilt für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Handelsvertreter-Richtlinie aus dem Jahre 1986. Und diese Richtlinie bestimmt, dass die Mitgliedstaaten dem Handelsvertreter einen gewissen Mindestschutz gewähren müssen, unter anderem eben auch einen vertraglich nicht abdingbaren Ausgleichs- oder Schadensersatzanspruch bei Beendigung des Vertragsverhältnisses. Und es ist aufgrund dieser Richtlinie, dass insofern in Deutschland und Frankreich ein vergleichbarer Schutz besteht.

Soweit innerhalb der EU das Privatrecht vereinheitlicht ist (insbesondere auf Grundlage von Richtlinien), haben wir es also wiederum mit einem einheitlichen Rechtsraum zu tun. Wenn es unangemessen ist, dass die Parteien in einem rein innerdeutschen Fall das zwingende deutsche Recht durch eine Rechtswahl abbedingen können, dann ist es in gleicher Weise unangemessen, dass die Parteien in einem rein innereuropäischen Fall das zwingende europäische Recht durch eine Rechtswahl abbedingen können. Für solche „Binnenmarktsachverhalte“ findet sich folglich eine entsprechende Regelung zu Art. 3 Abs. 3 Rom I in dem darauf folgenden Abs. 4:

„Sind alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl in einem oder mehreren Mitgliedstaaten belegen, so berührt die Wahl des Rechts eines Drittstaats durch die Parteien nicht die Anwendung derjenigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts – gegebenenfalls in der von dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts umgesetzten Form –,von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann.“

Auch in diesem Fall werden der Rechtswahlfreiheit der Parteien folglich Grenzen gesetzt: Durch die Wahl schweizerischen Rechts können die Parteien nicht die zwingenden Bestimmungen umgehen, die auf der Grundlage der Handelsvertreter-Richtlinie in den Mitgliedstaaten erlassen wurden.

Sie sehen, dass die Dinge in Europa durchaus verwickelt werden können. Wir wollen es dabei bewenden lassen und uns einem anderen Fragenkomplex zuwenden. Bislang ging es um eine für alle Arten von Verträgen gleichermaßen relevante Frage, nämlich die Absicherung zwingender Bestimmungen in reinen „Binnen-“ oder „Binnenmarktsachverhalten“ vor einer Rechtswahl durch die Parteien. Nunmehr geht es um eine andere Frage:

IV.    Schutz der schwächeren Partei

Mitunter erachtet der Gesetzgeber bei bestimmten Verträgen eine der Parteien als besonders schutzwürdig, da bei ihr eine Unterlegenheit bei der Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses angenommen wird. Typische Beispiele sind Arbeitsverträge, Verbraucherverträge und Mietverträge über Wohnraum. Für diese Verträge sehen die einzelnen Rechtsordnungen dementsprechend besondere Schutzvorschriften vor, die von den Parteien nicht abbedungen werden können: zum Beispiel Kündigungsfristen bei Arbeits- und Mietverträgen oder Widerrufsrechte sowie garantierte Gewährleistungsrechte bei Verbraucherverträgen. Auf die Existenz solcher zwingender Schutzbestimmungen auf der Ebene des Sachrechts muss das Kollisionsrecht reagieren. Denn der Schutz, den das Sachrecht der schwächeren Partei gewährt, darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass schlicht ein anderes Recht gewählt wird – und zwar auch dann, wenn an sich ein hinreichender Auslandsbezug bestünde, um eine Rechtswahl zu ermöglichen. Denn hier geht es eben um spezielle Schutzzwecke.

Dementsprechend sieht die Rom I-VO auch besondere Kollisionsnormen vor für Verbraucherverträge in Art. 6 und für Arbeitsverträge in Art. 8. Wie dieses besondere Schutzregime funktioniert, wollen wir hier anhand der Verbraucherverträge betrachten, denen der europäische Gesetzgeber ganz allgemein besondere Beachtung schenkt. Die Regelungssystematik ist für Arbeitsverträge grundsätzlich die gleiche, so dass wir diese hier außer Betracht lassen wollen.

Die zentrale Regelung für Verbraucherverträge ist in Art. 6 Abs. 1 und 2 der Rom I-VO enthalten:

„(1) Unbeschadet der Artikel 5 und 7 unterliegt ein Vertrag, den eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann („Verbraucher“), mit einer anderen Person geschlossen hat, die in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt („Unternehmer“), dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer

a) seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder

b) eine solche Tätigkeit auf irgend einer Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Staates, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.

(2) Ungeachtet des Absatzes 1 können die Parteien das auf einen Vertrag, der die Anforderungen des Absatzes 1 erfüllt, anzuwendende Recht nach Artikel 3 wählen. Die Rechtswahl darf jedoch nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch diejenigen Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach Absatz 1 mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.“

Die uns interessierenden Grenzen der Rechtswahl sind in Abs. 2 enthalten: Zunächst wird klar gestellt, dass auch in einem Verbrauchervertrag eine Rechtswahl möglich ist. Jedoch: Diese Rechtswahl darf nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch die ohne Rechtswahl anwendbare Rechtsordnung gewährt worden wäre – also durch das sogenannte „objektive“ Vertragsstatut. Dieses objektive Vertragsstatut ist gemäß Abs. 1 das Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für Verbraucherverträge – das heißt: für Verträge zwischen einem Verbraucher auf der einen Seite und einem Unternehmer auf der anderen Seite – für solche Verträge kommt es also zu einer wichtigen Änderung im anwendbaren Recht: Denn die allgemeinen Kollisionsnormen würden meist zur Anwendung des Unternehmerrechts führen: So verweist Art. 4 Abs. 1 in lit. a für den Warenkauf auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Verkäufers und in lit. b für Dienstleistungsverträge auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Dienstleisters. Das ist in Verbraucherverträgen regelmäßig gerade der Unternehmer. Soweit Art. 6 eingreift, kommt es dagegen zur Anwendung des Verbraucherrechts.

Nun liegt es auf der Hand, dass nicht alle Verbraucherverträge generell dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers unterliegen können. Wenn ich mir hier in Serbien als Tourist ein deutsch-serbisches Wörterbuch kaufe, so unterliegt der Vertrag natürlich auch ohne Rechtswahl serbischem Recht – und das obwohl ich, in den Worten von Art. 6 Abs. 1, einen Vertrag zu einem Zweck geschlossen habe, der nicht meiner beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, und zwar mit einem Händler, der seinerseits in Ausübung seiner gewerblichen Tätigkeit gehandelt hat. Geschützt wird also nicht jeder Verbraucher, der irgendwo auf der Welt einen Vertrag mit einem Unternehmer schließt, sondern nur ein solcher Verbraucher, der auf die Anwendung seines Umweltrechts, seines Aufenthaltsrechts vertrauen darf. Das ist nicht der „aktive“ Verbraucher, der sich aus eigenem Antrieb an einen Vertragspartner im Ausland wendet, sondern der „passive“ Verbraucher, der vom Unternehmer in seinem Aufenthaltsstaat angesprochen wird. Daher sieht Art. 6 zwei weitere Voraussetzungen vor, nämlich dass

a) der Unternehmer seine Tätigkeit im Aufenthaltsstaat des Verbrauchers ausübt oder

b) der Unternehmer seine Tätigkeit auf den Aufenthaltsstaat des Verbrauchers auf irgendeine Weise ausrichtet.

Der Begriff der „Ausübung“ in lit. a ist unproblematisch: Hat unser serbischer Buchhändler eine Niederlassung in Deutschland (vielleicht ein etwas theoretischer Fall), wo ich das Wörterbuch gekauft habe, dann übt er in Deutschland seine gewerbliche Tätigkeit aus. Anzuwenden ist dann gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. a das deutsche Verbraucherrecht. Und von den zwingenden Bestimmungen dieses Rechts kommt der Unternehmer gemäß Art. 6 Abs. 2 auch durch eine Wahl serbischen Rechts nicht frei.

Was aber ist unter „Ausrichten“ im Sinne der lit. b zu verstehen? Das ist eine Frage, die im Einzelfall sehr schwierig zu beurteilen sein kann. Uns müssen einige Beispiele genügen:

·         Im Ausgangsbeispiel, dass ich das Wörterbuch in Serbien bei einem Buchhändler kaufe, hat der Buchhändler seine Tätigkeit natürlich nicht auf meinen Aufenthaltsstaat Deutschland ausgerichtet. Es bleibt also bei der Anwendung serbischen Rechts.

·         Was aber, wenn ich das Buch noch von Deutschland aus bei dem serbischen Buchhändler bestellt habe und er es mir nach Deutschland zugeschickt hat? Nehmen wir an, ich habe mich bei Herrn Dr. Djordjevic nach der Adresse eines serbischen Buchhändlers erkundigt und dann selbst von Deutschland aus eine Bestellung an den Buchhändler geschickt – natürlich nicht auf Serbisch, denn ich habe das Wörterbuch ja noch nicht. Hier hat der Buchhändler seine Tätigkeit sicher nicht auf Deutschland ausgerichtet. Vielmehr habe ich, als „aktiver“ Verbraucher, die Initiative übernommen, die zum Vertragsschluss geführt hat. Es bleibt bei der Anwendung des Unternehmerrechts.

·         Anders ist die Lage, wenn es sich um einen großen serbischen Buchhändler handelt, der – sagen wir einmal – Werbematerial an alle Serbieninteressierte in Deutschland verschickt, unter anderem auch an mich. Über dieses Werbematerial richtet der Buchhändler sehr wohl seine Tätigkeit auf Deutschland aus. Wenn ich nun aus dem Werbeprospekt eine Auswahl treffe und das Wörterbuch bestelle, so sind die Voraussetzungen des Art. 6 lit. b erfüllt: Der Vertrag unterliegt objektiv dem deutschen Verbraucherrecht. Auch wenn der Buchhändler die Anwendung serbischen Rechts ausbedungen hätte, so blieben also gleichwohl die zwingenden Verbraucherschutzbestimmungen des deutschen Rechts anwendbar.

·         Das große Problem ist natürlich das Internet: Was passiert, wenn der serbische Buchhändler keine Werbung in gedruckter Form nach Deutschland versendet, sondern lediglich eine Internetseite betreibt, auf der er sein Angebot darbietet. Diese Website wird vermutlich auf der ganzen Welt abrufbar sein. Richtet der Buchhändler seine Tätigkeit allein dadurch also auf die ganze Welt aus? Ist jetzt allein deshalb deutsches Recht anzuwenden, wenn ich, informiert diesmal nicht durch Herrn Djordjevic, sondern durch die Website, bei dem Händler mein Wörterbuch bestelle?

Die Lösung ist leider noch immer etwas unklar. Verbreitet will man darauf abstellen, ob es sich um eine sogenannte „aktive“ oder eine „passive“ Website handelt, das heißt, ob über die Website unmittelbar ein Vertragsschluss erfolgen kann – oder ob ich dazu eine Bestellung per Post aufgeben muss. Das erscheint mir etwas zu formal. Der Europäische Gerichtshof nimmt zu Recht eine stärker materielle Betrachtung vor: Erforderlich ist, dass sich aus der inhaltlichen Gestaltung der Homepage eine Ausrichtung der Geschäftstätigkeit auf das Ausland ergibt – also etwa aus dem Gebrauch einer fremden Sprache oder der Nennung von Telefonnummern mit internationaler Vorwahl.

Das „Ausrichten“ im Sinne des Art. 6 ist nach alledem ein schillernder Begriff, der die Gerichte der EU in den nächsten Jahren sicher noch häufiger beschäftigen wird.

V. Eingriffsnormen

Uns bleibt noch ein letztes Thema, das es anzusprechen gilt, und zwar das Thema der sogenannten „Eingriffsnormen“. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um das schwierigste und umstrittenste Problem, über das ich heute spreche. Die Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass wir uns hier nicht mehr allein im Bereich des Privatrechts bewegen, sondern an die Grenze zum öffentlichen Recht gelangen.

Worum geht es? Lesen wir zunächst die einschlägige Definition des Art. 9 Abs. 1 Rom I:

„Eine Eingriffsnorm ist eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen.“

Und wie sind nun solche Normen zu behandeln? Das wird in Abs. 2 von Art. 9 gesagt:

„Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts.“

Das sagt alles natürlich noch nicht so viel. Was ist gemeint?

Gehen wir noch einmal zurück zum Ausgangspunkt: Die Rom I-VO erlaubt den Parteien eine freie Rechtswahl. Damit können sie auch darüber bestimmen, welchen Staates zwingende Bestimmungen zur Anwendung kommen sollen. Wir haben schon gesehen, dass es gewisse theoretische und auch praktische Probleme bereitet, wenn man es den Parteien erlaubt, selbst über die Anwendbarkeit von eigentlich zwingendem Recht zu entscheiden. Immerhin handelte es sich dabei aber bislang um zwingendes Privatrecht. Die Dinge liegen anders, wenn öffentliche Interessen im Spiel sind.

Ein einfaches Beispiel ist dieses: Ein deutsches Unternehmen verkauft bestimmte Arzneimittel in einen ausländischen Staat. Wir wollen annehmen, dass das betreffende Geschäft nach dem deutschen Arzneimittelrecht verboten ist, etwa weil das Medikament noch nicht hinreichend getestet wurde. Das muss natürlich auch dann gelten, wenn die Parteien ein anderes Recht als das deutsche gewählt haben – insbesondere das Recht eines Drittstaates, der gegen die Ausfuhr dieses Medikaments nichts einzuwenden hat.

Über die Anwendbarkeit des Arzneimittelrechts entscheidet also natürlich nicht die Rom I-VO und insbesondere nicht die Rechtswahl der Parteien gemäß Art. 3 Rom I. Denn es handelt sich hierbei um Eingriffsnormen im Sinne des Art. 9 Abs. 1: eben um zwingende Vorschriften, deren Einhaltung von Deutschland als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen, hier: gesundheitspolitischen Interesses angesehen wird, dass sie ungeachtet des Vertragsstatuts anzuwenden sind. Dementsprechend hängt die Anwendung dieser Vorschriften gemäß Abs. 2 auch nicht von den Regeln der Rom I-VO ab.

Damit ist natürlich noch nicht entschieden, wann derartige Normen des Gerichtsstaates anzuwenden sind. Dies muss anhand von besonderen Regeln entschieden werden, die oftmals erst von der Rechtsprechung zu entwickeln sind. So wird in unserem Beispiel wahrscheinlich zumindest die Ausfuhr solcher nicht hinreichend getesteter Medikament aus Deutschland erfasst sein.

Weitere, typische Beispiele für solche Eingriffsnormen sind ferner Kartellverbote, Währungsbestimmungen und Regeln über den Kulturgüterschutz – eben Vorschriften, die den Schutz von Interessen des Gemeinwohls zum Gegenstand haben. In all diesen Fällen ist klar, dass die Rechtswahl der Parteien von vornherein für die Anwendbarkeit solcher Bestimmungen unerheblich sein muss.

Auch unser Beispiel des Handelsvertreterrechts gehört übrigens in diese Kategorie. Lassen Sie mich eine letzte Abwandlung bilden:

Ein deutscher Handelsvertreter soll für ein US-amerikanisches Unternehmen aus Florida in Deutschland und Österreich tätig werden. Vereinbart wird die Anwendung des Rechts von Florida – wonach es keinen Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei Vertragsbeendigung gibt.

Wie steht es hier mit dem Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters?

Im Zusammenhang mit dieser Frage können wir zugleich unsere bisherigen Überlegungen rekapitulieren. Sie sehen also, dass wir uns damit auch schon dem Ende dieses Vortrags nähern.

·         Zunächst ist die Wahl des Rechts von Florida natürlich gemäß Art. 3 Abs. 1 möglich. Es handelt sich hier noch nicht einmal um ein „neutrales“, mit dem Fall unverbundenes Recht, da die Parteien gerade das Recht am Sitz des Unternehmens gewählt haben. In dieser Hinsicht bestehen also keinerlei Bedenken.

·         Dementsprechend handelt es sich auch weder um einen rein innerstaatlichen noch um einen rein innereuropäischen Fall, da mit dem Sitz des Unternehmens in den USA eine relevante Auslandsbeziehung besteht. Weder unter dem Gesichtspunkt des „Binnensachverhalts“ (Art. 3 Abs. 3) noch unter dem des „Binnen­marktsachverhalts“ (Art. 3 Abs. 4) kommen also Beschränkungen zum Tragen.

·         Man könnte natürlich erwägen, dass der Handelsvertreter hier als besonders „schwache“ Partei anzusehen ist, für die auch kollisionsrechtlich ein besonderer Schutz geboten ist. Hierin liegt auch sicherlich die Motivation für die Gewährung eines unabdingbaren Ausgleichsanspruchs auf sachrechtlicher Ebene. Jedoch haben wir gesehen, dass die Rom I-VO auf kollisions­rechtlicher Ebene besondere Schutzvorschriften nur für Verbraucher- und für Arbeitsverträge vorsieht. Um einen Verbrauchervertrag handelt es sich hier selbstverständlich nicht. Aber auch mit einem Arbeitsvertrag haben wir es nicht zu tun, da man in Europa den Handelsvertreter im Allgemeinen als selbständigen Gewerbe­treibenden betrachtet – was vielleicht nicht immer ganz seiner wirklichen wirtschaftlichen Stellung entspricht.

·         Damit bleibt für die Durchsetzung deutschen oder europäischen Handelsvertreterrechts in unserem Beispiel nur noch Art. 9. Die Frage ist also: Handelt es sich bei der Regulierung des Handelsvertreterrechts um Vorschriften, die ein besonderes öffentliches Interesse verfolgen? Diese Frage war in Deutschland hoch umstritten. Der deutsche Bundesgerichtshof hatte dies früher abgelehnt – der deutsche Handelsvertreter hätte demnach keinen Ausgleichsanspruch erlangt. Der Europäische Gerichtshof hat jedoch anders entschieden: Nach der berühmten „Ingmar“-Entscheidung aus dem Jahr 2000 verfolgt die zugrunde liegende Handelsvertreter-Richtlinie wesentlich auch die Vereinheitlichung der Wettbewerbs­bedingungen in der Europäischen Union. Trifft dies zu, so liegt hierin sicherlich ein überindividuelles, wirtschaftspolitisches Ziel, so dass heute das Handelsvertreterrecht als Eingriffsrecht auch in derartigen Fällen zur Anwendung kommt, sofern eine hinreichende Beziehung zum Gebiet der EU besteht. In unserem Beispielsfall besteht eine solche im Hinblick darauf, dass der Handelsvertreter seine Tätigkeit in Mitgliedstaaten der EU ausüben soll. Damit kann die Wahl US-amerikanischen Rechts dem Handelsvertreter nicht seinen Ausgleichsanspruch nach europäischem Recht entziehen.

VI. Schluss

Meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir haben ein anstrengende Reise durch das komplexe Herzstück des internationalen Vertragsrecht in Europa unternommen, nämlich das Verhältnis der Parteiautonomie zu zwingenden Bestimmungen des nationalen wie des europäischen Rechts. Ich hoffe, ich konnte zumindest einen gewissen Einblick in die Regelungsstrukturen des heutigen europäischen IPR vermitteln. In jedem Fall bedanke mich ganz herzlich für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit.



[1] Predavanje pod nazivom „Prinudni propisi u ugovornom pravu sa elementom inostranosti“ profesor dr Dennis Solomon je održao 13. aprila 2011. godine na Pravnom fakultetu u Kragujevcu.